Ein Briefwechsel - inspiriert von einer Pandemie...
Mit allen Facetten des Trostes schreibt Thea Dorn gegen ein Virus an. Das heißt, sie schreibt gegen die Trostlosigkeit an, der sich ihre Ich-Erzählerin Johanna ausgesetzt fühlt. Johanna hat ihre
Mutter verloren, als Opfer desjenigen Virus, vor dem sich die ganze Welt in einer pandemischen Ausnahmesituation schützen will, kann, soll und muss. Der Trost ist also doppelt notwendig,
als Kompensation für die Trauer der Zurückgebliebenen und als Durchhalteinstrument für die doch noch so ungewisse Zeit, solange keine Lockerungen des social distancing in Aussicht stehen. Fairer
Weise muss man sagen, dass das Hass- und Angstwort des letzten und neuen Jahres nicht einmal vorkommt. Man muss aber auch sagen, dass die Schilderung der pandemischen Situation und ihrer Umstände
keine andere Deutung zulässt.
Sechs Postkarten lässt ihr alter philosophischer Lehrer Max ihr zukommen, zwischen dem 7. Mai und dem sommerlichen August, als Johanna im Urlaub Trost findet. Zuvor aber fügt sich die
Protagonistin nolens volens in das Schicksal des Eingesperrtseins. Sie teilt dieses zwar mit 82 Millionen Personen, leidet aber, ein bisschen an den Pandemie-Maßnahmen, vielmehr noch am Tod
ihrer Mutter. Max schickt ihr Postkarten nicht einfach so, sondern stets vorderseitig mit einem Bild sowie rückseitig mit einer an Johanna formulierten Frage. Beides soll sie zum Nachdenken
anregen.
Johanna denkt also nach über die Facetten des Trostes für ihre eigene Situation (Tod der Mutter) und für die generelle Situation, in der sich derzeit alle Menschen befinden und die weiß Gott
nicht einfach zu ertragen ist (Pandemie). Die Denkanstöße bekommt sie mit der Post, von Max, und sie kommen prinzipiell aus zwei Stoßrichtungen, in denen sich die Philosophin Dorn auskennt: Religion
und Philosophie.
Angestoßen durch Max' kurze Fragen reflektiert Johanna in langen Briefen, manchmal zwei oder drei Briefen hintereinander über den Tod und den Trost. Sie stellt sich Fragen wie: Ist der Tod ein
Schicksal, das man ertragen muss? Ist der Tod ein Unrecht oder ein Trost? Wo kann man Trost finden, in der Religion, in der Philosophie, in der Musik, in der Natur, die stoischer nicht sein könnte?
Wie dachten wohl Jesus bzw. Maria oder Sokrates über den Tod? Und wie ging es anderen Menschen, die geliebte Angehörige verloren haben? Oder darf man sich tröstend dem Humor hingeben?
All dies erzählt Johanna nicht in philosophisch-dialogischer Weise, sondern verwoben in Alltagsgeschichten. Dabei darf sie auch mal eskalieren und Max dann von dem unweigerlich folgenden Test
berichten.
Wenn die Fragetechnik auch daran erinnert, "Trost" ist nicht Sofies Welt und Max ist nicht Alberto Knox. Max wird eine Mischung sein aus Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Johanna gibt nicht
viel über ihren ehemaligen Lehrer preis und er selbst auch nicht mehr als die Fragen, die er stellt. Hätte man gern mehr gewusst über den Lehrer? Wäre so ein ordentlicher philosophischer Dialog
drin gewesen oder hätte es den nicht gebraucht? Nein, eher nicht. Johanna denkt und schreibt expressiv, sie kann sich ihren Ärger, ihre Trostlosigkeit, ihre Trauer und die Wut über die allgemeinen
Zustände und über den Verlust ihrer Mutter vom Leibe schreiben und dies philosophisch untermauern. Den Kernsatz bildet bei allen philosophischen Überlegungen dieser: "Erleben wir nicht gerade, wie
das scheinbar Vernünftige ins Absurde umschlägt, wenn ganze Gesellschaften sich und ihren Mitgliedern aus Angst vor dem Tod das Leben verbieten?" Darum - dass Vernunft und Absurdes Nachbarn sind und
aus der Wohnung einfach nicht raus dürfen - geht es und die Fragen sind Kapitelüberschriften.
Thea Dorn schreibt mit 'Trost. Briefe an Max' nicht nur die Alltagsgeschichten der Philosophin Johanna nieder. Sie gibt eine Erinnerung daran, wie Philosophie im Alltag helfen, tröstend wirken
kann. Das Büchlein von 170 Seiten ist kein kein Erfahrungsbericht, kein Pandemie-Report, kein Corona-Sachbuch. Es stellt kein Recht in Frage und wettert doch gegen die Umstände.
Die Lösung, der wahre Trost liegt schlussendlich in der Selbsterkenntnis des eigenen und menschlichen Daseins. "Herr, gib mir die Einsicht..." Das Gelassenheitsgebet schreibt Johanna dreimal um
- um am Ende zu erkennen, was sie tun sollte: Nach der gedanklichen Reise auf der Suche nach Trost nun eine richtige Reise, um sich von der schönen Ferne trösten zu lassen.